Das Projekt läuft gut – aber niemand weiß, warum

Das Projekt läuft gut – aber niemand weiß, warum
Photo by Jo Szczepanska / Unsplash

Es gibt Projekte, die scheinbar mühelos ablaufen. Der Zeitplan wird eingehalten, das Budget nicht überschritten, und die Stakeholder sind zufrieden. Der Projekterfolg ist offensichtlich – doch bei genauerem Hinsehen stellt sich die Frage: Was genau hat zu diesem Erfolg geführt? Und wichtiger noch: Könnten wir diesen Erfolg reproduzieren?

Diese Fragestellung ist keineswegs banal. In der Praxis erleben Projektverantwortliche immer wieder, dass erfolgreiche Ergebnisse nicht unbedingt auf einem systematisch gesteuerten Projektverlauf beruhen, sondern mitunter auf Einzelentscheidungen, glücklichen Umständen oder nicht dokumentierten Sonderwegen basieren. Ohne eine klare Erkenntnis über die Erfolgsfaktoren bleibt jeder neue Projektstart ein Stück weit ein Risiko.

Wenn Erfolg nicht erklärbar ist – ein strukturelles Risiko

Erfolg im Projektmanagement ist in der Regel das Ergebnis eines abgestimmten Zusammenspiels aus Planung, Steuerung, Kommunikation und Risikomanagement. Wenn jedoch die Frage nach dem "Warum" unbeantwortet bleibt, bedeutet das: Es gibt keine verlässliche Grundlage, um erfolgreiche Vorgehensweisen zu standardisieren oder weiterzugeben.

Projekte, die zufällig gut verlaufen, können ein trügerisches Gefühl von Kontrolle vermitteln. In Wirklichkeit fehlen belastbare Informationen darüber, welche Maßnahmen, Methoden oder Entscheidungen zum Erfolg geführt haben – und ob diese überhaupt wiederholbar wären.

Die Bedeutung systematischer Reflexion

Reflexion ist im Projektkontext kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit. Sie beginnt nicht erst mit dem Projektabschluss, sondern sollte integraler Bestandteil des gesamten Projektlebenszyklus sein. Iterative Rückblicke – ob in Form von Retrospektiven, Reviews oder Lessons-Learned-Sitzungen – helfen Teams, implizites Wissen zu explizieren.

Wichtige Fragen, die dabei regelmäßig gestellt werden sollten:

  • Welche Maßnahmen haben sich als besonders effektiv erwiesen?
  • Gab es kritische Situationen, die durch Zufall oder Einzelinitiative entschärft wurden?
  • Welche Annahmen über das Projektumfeld haben sich als (un)zutreffend erwiesen?

Die Antworten auf diese Fragen ermöglichen es nicht nur, künftige Projekte besser zu steuern, sondern auch, einen organisationsweiten Lernprozess in Gang zu setzen.

Retrospektiven als methodischer Anker

Retrospektiven stammen ursprünglich aus der agilen Projektmethodik, eignen sich aber ebenso gut für klassische oder hybride Projektansätze. Ziel ist es, regelmäßig innezuhalten und das eigene Vorgehen zu hinterfragen – in einem geschützten Rahmen, offen, ehrlich und lösungsorientiert.

Wichtige Erfolgsfaktoren für wirksame Retrospektiven:

  • Moderation durch neutrale Dritte oder erfahrene Facilitator
  • Klare Zielsetzung pro Retrospektive (z. B. Teamzusammenarbeit, Risikomanagement, Kommunikation)
  • Dokumentation der Ergebnisse mit konkreten Maßnahmen zur Nachverfolgung

Gerade in Projekten, die formal "gut laufen", kann eine strukturierte Retrospektive dabei helfen, latente Risiken zu identifizieren – etwa ineffiziente Entscheidungswege, informelle Abhängigkeiten oder mangelnde Skalierbarkeit.

Die Rolle der Wissenssicherung

In vielen Organisationen ist Erfahrungswissen personengebunden – und damit vergänglich. Scheidet eine erfahrene Projektleitung aus oder wird ein Team neu zusammengestellt, gehen zentrale Informationen häufig verloren. Eine proaktive Dokumentationsstrategie kann dem entgegenwirken.

Elemente einer effektiven Wissenssicherung im Projektkontext:

  • Etablierung von Projektdokumentationsstandards (z. B. zentrale Ablagestrukturen, Versionierung, Rollenverantwortlichkeiten)
  • Nutzung digitaler Plattformen wie Confluence, SharePoint oder projektinterner Wikis
  • Einführung eines Lessons-Learned-Prozesses als verbindlicher Projektabschlussbaustein

Ziel ist es, nicht nur Fehler zu vermeiden, sondern explizit auch Erfolge zu verstehen und verfügbar zu machen.

Der Unterschied zwischen Glück und Struktur

Nicht jeder Projekterfolg ist planbar – aber die Wahrscheinlichkeit für wiederholbaren Erfolg lässt sich durch strukturierte Vorgehensweisen massiv erhöhen. Organisationen, die erfolgreich Projekte umsetzen, ohne systematisch zu reflektieren, riskieren eine gefährliche Illusion von Kontrolle.

Besonders in wachstumsstarken Unternehmen mit hoher Projektdichte ist es entscheidend, zwischen zufälligem Glück und belastbaren Prozessen zu unterscheiden. Ein Projekt, das scheinbar reibungslos abläuft, kann unter der Oberfläche Schwachstellen aufweisen, die erst im nächsten Projekt oder unter veränderten Bedingungen zum Problem werden.

Empfehlungen für die Praxis

Um die Erkenntnisse aus scheinbar problemlos verlaufenden Projekten nutzbar zu machen, sind folgende Maßnahmen sinnvoll:

  • Verpflichtende Projektretrospektiven als Teil des Projektcontrollings
  • Verankerung von Wissenssicherung in der Projektgovernance
  • Systematische Befragung aller Projektbeteiligten am Ende eines Projekts
  • Transparente Kommunikation über Erfolgsfaktoren in internen Netzwerken oder Communities of Practice

Diese Maßnahmen fördern nicht nur die Projektqualität, sondern auch eine lernende Organisation.

Ausblick: Erfolg planbar machen

Projekte, die erfolgreich verlaufen, ohne dass wir verstehen, warum, sind eine verpasste Lernchance. Der Aufbau resilienter, reproduzierbarer Projektstrukturen erfordert mehr als Tools und Templates – nämlich eine Kultur der Reflexion und Transparenz.

Die systematische Erfassung von Erfolgsfaktoren und die kritische Auseinandersetzung mit dem "Warum" eines Projekterfolgs sind zentrale Bestandteile professionellen Projektmanagements. Unternehmen, die darin investieren, erhöhen nicht nur ihre Erfolgsquote – sie senken auch die langfristigen Projektkosten durch weniger Reibungsverluste und effizientere Planung.


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